„Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah.“ (Johann Wolfgang von Goethe, deutscher Dichter, 1749 – 1832)
Immer mehr in kürzerer Zeit erleben, immer weiter weg, immer exotischer. 1990 waren auf deutschen Flughäfen rund 80 Millionen Passagiere unterwegs, heute sind es bereits über 200 Millionen. Auch beim Reisen wollen wir möglichst hoch hinaus. Nur werden wir dadurch weiser, weltgewandter und wunschlos glücklich? Haben wir nicht eher in den schönsten Wochen des Jahres das Maß verloren?
Ich glaube, Goethe hatte recht. Das Gute liegt näher als gedacht. Nah ist das neue Fern. Langsam ist das neue Schnell. Ich rate sogar, eine Reise direkt von der Haustüre aus zu starten. Das klappt am besten zu Fuß oder mit dem Rad, unter Umständen auch bei einer (An-)Reise mit Bus und Bahn oder dem PKW.
Meine Reisen von der Haustüre aus
Ich habe die Vorteile, direkt von der Haustüre aus zu starten, am eigenen Leib erfahren. Eine Auswahl meiner Reisen der letzten 20 Jahre:
- Als Student war ich mehrmals wochenlang mit dem InterRail-Ticket unterwegs. Auch wenn mich die Touren von Finnland bis Fes und von Gent bis Griechenland führten, starteten sie stets in meiner Bude in Würzburg. Ich packte meine Siebensachen, lief zum Bahnhof und stieg in die erstbeste Regionalbahn. Da hatte meine Reise längst begonnen. Es ging mir ums Unterwegssein und nicht ums Ankommen.
- Im Spätsommer 2005 radelte ich in 18 Tagen von meiner Haustüre in Aachen nach Nizza am Mittelmeer. Zurück ging es mit dem Zug.
- Von Februar 2006 bis Juli 2007 war ich auf einer 20.000 km langen Radweltreise. Los ging es abermals in Aachen. Erst dreieinhalb Monate später stieg ich in Amman in Jordanien zum ersten Mal in ein Flugzeug.
- Im Sommer 2012 erfüllte ich mir den Traum, von München nach Venedig zu wandern. Ich hatte gerade meinen Job hingeworfen. So konnte ich es mir erlauben, von meiner Haustüre in Forchheim aus loszulaufen.
- Diesen Herbst bin ich mit Stephi acht Tage lang durch Nordbayern geradelt. Start und Ziel war unser Häuschen in Pinzberg.
Auch Tageswanderungen, Nordic-Walking-Runden und kurze Radtouren starte ich oft von Zuhause aus, vor allem seit ich mein Auto verkauft habe.
Eines Tages möchte ich durch Franken und Bayern nach Salzburg wandern und dort die Alpenüberquerung Salzburg-Triest anhängen. Und falls ich je nach Santiago de Compostela pilgern sollte, wäre klar, wo ich starte. Jeder Jakobsweg beginnt vor dem eigenen Haus.
7 Gründe, warum Du Reisen von der Haustüre aus starten solltest
Warum nicht in die Ferne schweifen, nicht mit dem Schnellzug ins nächste Land rasen und schon gar nicht auf einen anderen Kontinent fliegen? Ein paar Gründe sind naheliegend, andere habe ich erst im Laufe der Zeit schätzen gelernt.
- Du hast mehr vom Urlaub. Während andere noch am Brenner im Stau stehen, pedalierst Du schon durch deutsche Landen. Kommt noch die Rückfahrt dazu, sparst Du schnell zwei volle Tage.
- Wer zu Fuß oder mit dem Rad startet, spart Geld, denn die Kosten für die An- und evtl. Rückreise entfallen.
- Reisen von der Haustüre aus sind nachhaltiger und schonen die Umwelt.
- Oft ist es möglich, auf den ersten Etappen bei Freunden zu übernachten. Das ist gleichermaßen gut für die Freundschaften und die Reisekasse.
- Du entdeckst Deine Heimat von einer ganz anderen Seite. Keine Bange: Unbekanntes Territorium kommt spätestens nach 50 Kilometern (10 Kilometern, wer bisher zur Toskana- oder Tasmanien-Fraktion gehörte).
- Es ist die entspannteste Art zu verreisen. Anstelle um 5:15 am Flughafen sein zu müssen, startet Du „irgendwann nach dem Frühstück“.
- Du wirst nicht krank. Entspannt vom Bekannten zum Unbekannten zu reisen, sich also physisch und psychisch, klimatisch und kulinarisch langsam an das Fremde zu gewöhnen, sind bewährte (und rezeptfreie) Mittel gegen Montezumas Rache & Co.
Bonus: Tipps zur Planung für die Reisemittel Beine, Bike, Bahn und Pkw
Mir ist klar, dass nicht jeder jede Reise von der Haustüre aus starten kann oder möchte. Ich mache das auch nicht immer. Aber es ist eine wunderbare Alternative zum klassischen Urlaub. Die folgenden Tipps können bei der Planung helfen.
- (Fern-)Wanderwege gibt es in der Nähe jeder Stadt in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Für Deutschland empfehle ich als Einstieg die Liste von Wanderwegen bei Wikipedia sowie das Portal Wanderbares Deutschland. Im Zeitschriftenhandel gibt es einige Magazine zum Thema, darunter das trekking-Magazin, für das ich mehrere Artikel geschrieben habe. Mitglieder des Deutschen Alpenvereins bekommen alle zwei Monate das lesenswerte Magazin Panorama, das zudem online zur Verfügung steht.
- Auch in Sachen Radfahren wird Du bei Wikipedia und im Kiosk fündig. Das Radreise-Wiki und das Verzeichnis der Bahntrassenwege habe ich selbst oft verwendet.
- „Fahr Bus und Bahn“ lautete der Werbeslogan, der in den achtziger Jahren die Autofahrer zum Umsteigen bewegen sollte. Mit dem Zug zu reisen, kann viel Vergnügen bereiten, gerade auf Nebenstrecken. Landschaftlich reizvolle Strecken sind etwa in der RailTravel Map Deutschland gekennzeichnet und findest Du online auf Führerstandsmitfahrten. Übrigens gibt es InterRail-Tickets längst auch für Personen über 25 Jahre. Neben der unter „Meine Reisen von der Haustüre aus“ angegebenen Webseite der europäischen Bahngesellschaften kann ich das Portal Raildude empfehlen, das ich schon als Student genutzt habe.
- Und wenn man partout nicht auf den Pkw verzichten möchte? Dann kann es ein Gewinn sein, die Anreise zum Urlaubsort als Teil der Reise zu sehen. Also wenig befahrene Straßen und Ferienstraßen wählen, sich Zeit lassen, Zwischenstopps einlegen, um etwas zu besichtigen oder durch die Natur zu streifen …
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Hallo!
Das sind schon plausible Gründe. Ich habe mehrere Radtouren bzw Radreisen ab der Haustüre unternommen. Kann es auch nur empfehlen. Einmal hatte ich etwas vergessen (Ladekabel fürs Handy). Bin dann noch mal eine Std. zurück gefahren. Im Flugzeug wäre das ja nicht möglich gewesen.
Danke für den Link zu den Bahntrassenradwegen kannte ich noch nicht.
Dass man auch als Erwachsener Interrail machen kann, wusste ich auch noch nicht. Muss ich mir genauet anschauen.
Auch die Alpenüberquerungen Salzburg-Triest und München-Venedig würden mich reizen.
Dieser Artikel ist eine wahre Fundgrube für mich!
Gruss
Max