„My Stuff“ als Inspiration
Vor einem Jahr habe ich den Dokumentarfilm My Stuff – Was brauchst du wirklich? gesehen. Darin räumt der finnische Filmemacher Petri Luukkainen seine Wohnung komplett leer und nimmt sich vor, jeden Tag nur einen Gegenstand zurückzuholen. Die Idee ist originell. Der Film beginnt denkbar komisch: Petri rennt nackt vom Depot durch das nächtliche Helsinki nach Hause. Die folgenden 80 Minuten halten der Konsum- und Überflussgesellschaft nur selten den Spiegel vor, sondern wirken zuweilen wie ein konstruiertes Selbstexperiment.
Ich verließ das Kino mit gemischten Gefühlen. Trotzdem kamen mir in den Tagen danach Szenen aus „My Stuff – Was brauchst Du wirklich?“ in den Kopf. Und plötzlich hatte ich die Idee, dass man beim Ausmisten ähnlich vorgehen könnte, indem man alle Gegenstände eines Bereichs der Wohnung wegräumt und dann nur das zurückholt, was man in den darauffolgenden Wochen wirklich benötigt.
Ich nenne dieses Vorgehen die Tabula-rasa-Methode. Als Tabula rasa versteht man eine Situation, in der das bisher Gewesene getilgt wird, um einen unbelasteten Neubeginn wagen zu können. In der Philosophie ist Tabula rasa der ursprüngliche Zustand der Seele, ehe diese durch Eindrücke und Erfahrungen geprägt wird.
Die 6 Schritte der Tabula-rasa-Methode
Es spielt keine Rolle, ob Du Dir einen ganzen Raum oder nur eine Schublade vornimmst. Das Ausmisten nach der Tabula-rasa-Methode erfolgt stets nach dem gleichen Muster.
- Entscheide Dich, welchen Bereich Du ausmisten möchtest. Das Badezimmer, den Kleiderschrank oder doch lieber die Krimskrams-Schublade?
- Räume den auszumistenden Bereich komplett leer. Die ganzen Gegenstände sollten aus Deinem Sichtfeld, aber dennoch gut erreichbar sein, z. B. in Umzugskisten in der Abstellkammer.
- Mache nun den leer geräumten Bereich gründlich sauber. Das gelingt schneller und einfacher als sonst, da ja nichts im Weg steht.
- In den folgenden Tagen und Wochen holst Du nur die Gegenstände zurück, die Du unbedingt benötigst.
- Entweder machst Du solange weiter, bis Dir nur noch selten Gegenstände fehlen. Oder Du legst vorab einen Zeitraum fest, etwa einen Monat oder ein viertel Jahr.
- Abschließend schaust Du all die Gegenstände durch, die Du in den letzten Wochen nicht angerührt hast. Ein paar wirst Du vielleicht noch in Dein Leben zurückholen, die meisten kannst Du bedenkenlos wegwerfen, verschenken, spenden oder verkaufen. Bist Du Dir bei einem Gegenstand nicht sicher, kommt er zurück in die Umzugskiste, die dann in den Keller oder Speicher wandert. Du solltest Dir aber einen Termin in ein paar Monaten im Kalender eintragen, an dem Du die Kiste nochmal durchschaust.
Beispiel Badezimmer
Ich habe mit Hilfe der Tabula-rasa-Methode schon selbst ausgemistet. Am Beispiel meines Badezimmers beschreibe ich meine Erfahrungen.
Zu Beginn räumte ich das Badezimmer komplett leer und deponierte die Gegenstände in einem großen Karton in einer Ecke meiner Küche. Danach putzte ich gründlich das Bad, die Regale und das Hängeschränkchen. Die folgenden vier Wochen brachte ich all das in das Badezimmer zurück, was ich benötigte: Handseife, Handtuch, Zahnbürste, Zahncreme und Toilettenpapier (am 1. Tag), Duschgel, Duschtuch, Kamm und Deo (2. Tag), Rasieröl, Rasierhobel und Eau de Toilette (3. Tag), Waschmittel (5. Tag), Taschentücher (6. Tag), und Nagelschere (8. Tag), Badezusatz (12. Tag), Pflaster (17. Tag), Teebaumöl (25. Tag). Nach den vier Wochen schaute ich mir die Gegenstände im Karton an. Mehr als die Hälfte hatte ich nicht angerührt. Das Erste-Hilfe-Set, die Nagelfeile, das Körperöl und eine ungeöffnete Tube mit Shampoo schafften es zurück ins Badezimmer. Den Rest entsorgte ich – darunter einen alten Rasierapparat, ein komisch riechendes Parfüm, eine Bürste, einen defekten Reiseföhn, abgelaufene Medikamente, mehrere Kosmetikproben und leere Tiegel.
Fast alles, was heute in meinem Badezimmer steht, passt in das Hängeschränkchen und verwende ich regelmäßig. Ich achte darauf, nur Artikel zu kaufen, die ich benötige. Ich habe mir das für meinen gesamten Konsum zur Gewohnheit gemacht, um nach dem Entrümpeln nicht in die Falle des schleichenden Zurümpelns zu tappen. Für Wohnungshüter ist mir meine Zeit und mein Geld einfach zu schade.
Mehr Platz und Lebenszeit, mehr Geld und Freiheit
10.000 Gegenstände bunkert der Durchschnittseuropäer – Tendenz steigend. Wir schalten offensichtlich den gesunden Menschenverstand ab, sobald wir uns in die Fußgängerzone, ins Einkaufszentrum oder zum Online-Shopping begeben.
Mit der Tabula-rasa-Methode findest Du heraus, welche Gegenstände Du wirklich benötigst und welche Du überhaupt nicht verwendest. Du musst allerdings Geduld aufbringen, denn der gesamte Ausmist-Prozess läuft über mehrere Wochen. Hältst Du durch, wirst Du staunen, wie wenig Du eigentlich zum Leben und Glücklichsein brauchst. Nach dem Pareto-Prinzip verwenden wir mindestens 80 % der Zeit nur eine Auswahl von maximal 20 % unseres Besitzes. Man muss man nur den Kleiderschrank oder die Büchersammlung durchschauen, um dieses Phänomen zu begreifen.
Hast Du Dich nach dem letzten Schritt der Tabula-rasa-Methode vom Ballast getrennt, kannst Du die Früchte des Ausmistens ernten: Mehr Platz und Lebenszeit, mehr Geld und Freiheit.
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Hallo Christof,
wie belastend so ein überfüllter Raum sein, habe ich am eigenen Leib gespürt. Unser Schlafzimmer war voll mit Schränken und Schränke waren übervoll. Das hat u.A. dazu geführt, dass ich kaum noch in meinem Bett oder überhaupt geschlafen habe.
Wir haben dann ähnlich wid von der beschrieben die Schränke leer gemacht und nur das reingetan, was noch angezogen wird. Acht Säcke kam in die Altkleidersammlung und zwei Säcke kamen in den Müll.
Ich bin gerade in einer Klinik (u. A. wegen meiner Schlafstörungen). Ich bin hier zum ersten Mal auf deinen Blog gestoßen. Passt ja irgendwie. Zum Thema Badezimmer fällt mir deshalb ein, dass ich dort schon einen gewissen Minimalismus pflege. Ich habe nämlich alles von mir und es passt alles in meinen Kulturbeutel.
Grüße aus verschneiten Harz