„Nun glaub ich auf dem rechten Wege zu sein, da ich mich immerfort als einen Reisenden betrachte, der vielem entsagt, um vieles zu genießen.“ (Johann Wolfgang von Goethe)
Auch wer mit dem minimalistischen Leben nichts am Hut hat, führt wahrscheinlich eines auf Zeit ein oder zwei Mal im Jahr. Auf Reisen kehren wir dem Ballast den Rücken. Wir nehmen nur wenige Dinge mit, beschränken den Kontakt auf unsere Liebsten und tun ausschließlich das, was uns wichtig ist. Genau darum geht es im Minimalismus. Ob es sich um einen Strandurlaub, eine Städtereise oder Outdoor-Aktivitäten handelt, spielt dabei keine Rolle.
Mit wenig Gepäck durch Europa
Dass gerade die Einfachheit Reisen unvergesslich macht, wurde mir bewusst, als ich in den 90er Jahren als Student mehrmals mit dem InterRail-Ticket unterwegs war. Mit einem Schlafsack und etwas Kleidung im Rucksack fuhr ich mit dem Zug von Amsterdam nach Athen und von Finnland nach Faro. Ich besuchte Orte, an die ich mich heute erinnere, als wäre ich gestern dort gewesen. Ich lernte Menschen kennen, mit denen ich heute noch befreundet bin.
Dinge anhäufen oder Dinge tun
Dieses Gefühl der Freiheit daheim zu bewahren, ist nicht einfach. Ich erfuhr dies am eigenen Leib. Nachdem ich das Studium abgeschlossen hatte, wurde mein Leben immer komplizierter. Ich arbeitete in einem Job, der mir keine Freude bereitete. Ich pflegte im aufkommenden Internet- und Handy-Zeitalter zu viele Bekanntschaften. Und ich häufte Dinge an, anstelle Dinge zu tun.
Radweltreise: Minimalismus pur
Nach fünf Jahren hatte ich von all dem genug. Ich kündige Job und Wohnung und ging auf Weltreise. Von Februar 2006 bis Juli 2007 radelte ich 20.000 Kilometer durch 13 Länder und drei Kontinente. Alles, was ich brauchte, steckte in fünf Fahrradtaschen. Ich schlief im Zelt oder in schlichten Unterkünften und kochte auf einem kleinen Benzinkocher oder aß mit den Einheimischen in Garküchen. Das minimalistische Nomadendasein stellte das Essentielle in den Mittelpunkt: Die Begegnungen mit den Menschen am Straßenrand, die Exotik der fernen Länder, die Natur mit all ihrer bedrohten Schönheit.
Die Leichtigkeit der Einfachheit
Nach dieser anderthalbjährigen Reise war ich vernarrt in die Leichtigkeit der Einfachheit. Mit Hilfe des Minimalismus wollte ich das Maximale aus meinem Leben herausholen. Es dauerte zwar eine Weile, bis ich wusste, was das Maximale, also das mir Wichtige, überhaupt bedeutet, doch dann konnten die Fesseln umso leichter abschütteln. Ich trennte mich von 4.000 Tonträgern und vielen anderen Dingen, wurde Vegetarier, später Veganer, zog zurück in meine fränkische Heimat, hängte meinen ungeliebten Job an den Nagel, machte mich als Autor selbstständig, startete diesen Blog …
Minimalismus als Weg
Für mich ist Minimalismus weniger ein Ziel, sondern ein Weg, den man geht, ohne je anzukommen. Selbst wenn man lernt, Ballast zu erkennen, wird man sein Leben nicht frei davon halten können. Es gibt immer Dinge, Verpflichtungen und Beziehungen, von denen man sich trennen möchte. Zum Glücklichsein bedarf es ansonsten wenig. Das erlebe ich noch immer auf meinen Reisen. Wie schon im letzten Jahr, ging ich auch heuer mit wenig Gepäck über die Alpen. 23 Tage lang reduzierten sich meine Bedürfnisse auf frische Luft, einen Teller Gemüse, Wasser zum Trinken, einen Platz zum Schlafen, ein paar liebe Menschen und die Vision, dieses grandiose Gebirge zu überqueren. Als ich schließlich das Mittelmeer erreichte, erkannte ich, dass diese Bedürfnisse nur Varianten unser aller alltäglichen Bedürfnisse waren.
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Hallo Christof,
ich kenne auch dieses tolle Gefühl mit Rücksack und Interrail-Ticket durch Europa zu reisen. Alles dabeizuhaben, was man braucht (und doch immer noch zuviel).
… bis ich das in den Alltag übertragen habe, hat es dann noch eine Weile gedauert.
Viele Grüße,
Anja