Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Axel Löwenstein. Er lebt mit seiner Frau und seinem Hund in der Nähe von Hamburg.
Was mache ich mit der zweiten Halbzeit meines Lebens?
Irgendwann kommt im Leben eines Mannes der Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Blondiere ich mir die Haare, schmeiß ich die Alte raus und kauf mir ein Cabrio, oder sehe ich diese vermeintliche Krise als Midlife-Chance. Irgendwie überkam mich das Gefühl, dass die Zeit langsam knapp wird. Aber wofür zu knapp?
Was will ich eigentlich aus der zweiten Halbzeit meines Lebens machen? Selbst wenn das Leben mit einem Tor in Führung liegt, habe ich es doch in der Hand, das Spiel zu drehen und wenigsten mit einem Punkt vom Platz zu gehen. Wenn unter den zehn Dingen, die Du mit auf eine einsame Insel nehmen würdest, der Ordner mit den Steuerunterlagen ist, dann läuft bei Dir vielleicht etwas schief.
Die Frage ist nicht, wie viel Zeit ich noch habe, sondern wie viel Leben ich in die verbleibende Zeit packen kann.
Die Umstellung auf einen minimalistischen und bewussten Lifestyle ist in der Theorie ganz einfach. Im realen Leben allerdings steht man vor handfesten Hindernissen.
Ich möchte meinen Ansatz hier mit Dir teilen.
Minimalistischer Reichtum: Werte statt Ware
Als die Botschaft bei mir ankam, dass es ein Leben vor dem Tod gibt, wurde ich plötzlich nachdenklich und fing an, meinen aktuellen Lebensstil zu überprüfen, ja sogar in Frage zu stellen. Schnell wurde mir klar, was ich nicht mehr wollte. Sollte auf meinem Grabstein wirklich stehen: „Axel ist immer brav zu Arbeit gelatscht?“ Das Leben bietet doch so viel mehr. Minimalistisch, praktisch, gut!
Was ich nicht mehr will, war also schnell und klar definiert. Aber was will ich stattdessen?
Ich setzte mich hin und begann mit einem Brainstorming. Nichts, absolut nichts! Stundenlang schwieg ich mich an, ohne einen Ansatz zu entwickeln, was ich denn nun erreichen möchte, geschweige denn wie ich dort hinkomme. In meinem Kopf war zwar ein schönes buntes Bild, ich selbst wollte aber nicht in dieses Bild passen.
Ohne einen sonderlich esoterischen Ansatz zerlegte ich das Problem ganz pragmatisch in seine Einzelteile. Ich muss nicht in einen Ashram nach Indien fliehen, um mich selbst zu finden. Ich weiß wer und wo ich bin.
Der kleinste gemeinsame Nenner mit mir, bin erstaunlicherweise ich. Also, wer bin ich eigentlich und wofür stehe ich? Ich habe früher mit den anderen tollen Jungs tolle Dinge gemacht und viel tolle Dinge besessen, aber jetzt bin ich ein Mann. Jetzt geht es um wahre Werte und darum diese zu vermitteln.
Ein Haufen Mist bleibt ein Haufen Mist
Als Einstieg in ein bewusstes Leben habe ich mir die Frage gestellt, welche Momente die glücklichsten in meinem bisherigen Leben waren. Wann habe ich mich frei und zufrieden gefühlt? Ganz schnell kommen angenehmen Gefühle in einem hoch, wenn man sich an diese Momente erinnert. Alles was Du wirklich über Dich und Deinen Plan vom Leben wissen willst, ist in Dir. Nimm Dir ruhig die Zeit und hör Dir zu.
Mir hat dabei ein Perspektivwechsel geholfen. Oft richten wir den Blick nach außen und fragen uns, was andere Leute über uns denken. Wenn Du aber mal in die andere Richtung – also nach innen – schaust, entdeckst Du erstaunliche Dinge.
Ich erinnerte mich daran, wie erfüllend und befriedigend es für mich war, als ich früher Kurzgeschichten geschrieben habe. Das möchte ich wieder machen und vielleicht damit meine Brötchen verdienen. Als Beamter schlummere ich in einem kuschelig weichen Netz voller Sicherheit. Eine Sicherheit, die schleichend in Trägheit übergeht. Eine Trägheit, die dann in der Angst mündet, alles wieder zu verlieren, was man sich mühevoll aufgebaut hat.
Die schonungslose Wahrheit ist aber: Egal wie viel Energie Du investierst, um einen Haufen Mist aufzustapeln. Es bleibt ein Haufen Mist!
Ich erinnere mich noch gut an einen Urlaub auf den Kanaren. Ich besuchte mit meiner Frau ein kleines idyllisches Fischerdorf und wir saßen verträumt am Hafen, wo ich einen alten Fischer bei der Arbeit beobachtete. Plötzlich entlud ein Reisebus unter großem Getöse seine quirlige Fracht. 50 Touristen: Schlimm. 50 deutsche Touristen: Entsetzlich. Als die Kameras unaufhörlich klickten, konnte ich sehen, dass die meisten der Belagerer den Fischer als bemitleidenswerte Requisite in einer gestellten Fotokulisse betrachteten. Ich hingegen habe in ihm Ruhe und Zufriedenheit gesehen und ja, ich war sogar etwas neidisch auf ihn. Es war mir klar, dass ich etwas ändern muss.
Radikaler Bruch oder kleine Veränderungen
Ein radikaler Bruch mit der bisherigen Lebensweise ist vermutlich die konsequenteste Entscheidung. Ich habe mich aus verschiedenen Gründen dagegen entschieden. Ich trage nicht nur für mich alleine Verantwortung und bin diese Verpflichtungen damals ja bewusst eingegangen. Meine Frau unterstützt mich bedingungslos (Danke!), aber mein gesamtes soziales Umfeld nimmt die anstehenden Veränderungen eher kritisch wahr, weil sie ängstlich in der gleichen Sicherheitsfalle kauern.
Es ist unglaublich schwierig all die bohrenden Fragen so zu beantworten, dass man nicht plötzlich als wankelmütiger Freak wahrgenommen wird. Warum isst Du denn jetzt kein Fleisch mehr? Was ist denn das für eine billige Karre? Fragen, die aus einem Blickwinkel gestellt werden, den ich an meinem derzeitigen Wertehorizont nicht erreichen kann.
Ich etabliere stetig kleine Veränderungen, die mich Stück für Stück meiner Idealvorstellung von einem einfach bewussten Leben näher bringen. Die meisten Veränderungen beginnen als Experimente, die ich oft auch mit meiner Frau teilen kann. Lass uns doch einen Monat auf Fleisch verzichten, oder lass uns die vegane Ernährung ausprobieren, oder … Du willst, dass man verantwortungsvoll mit Deinem Geld umgeht? Eröffne ein Konto bei der EthikBank. Dich ärgern die übertrieben Preise von Smartphones und die unterirdischen Arbeitsbedingungen der Menschen, die diese Dinger für Dich zusammenschrauben? Kauf ein Fairphone. Mehr möchte ich gar nicht über diese Probleme sprechen. Sie sind ausreichend bekannt und klar definiert. Jetzt geht es um Lösungen.
Manchmal muss man Dinge einfach tun!
Genau das ist der Schlüssel für mich. Es geht nicht mehr darum, sich zu finden, sondern darum, neue kreative Wege zu beschreiten oder sogar Altes und Hergebrachtes wieder zum Leben zu erwecken. Diese Veränderungen finden für mich zum größten Teil „nach innen“ statt. Ich erzähle nicht jedem, was mich bewegt und wo meine Reise hingehen soll. Mein Sendungsbewusstsein tendiert inzwischen gegen Null. Das finde ich nicht egoistisch, denn meine – kontinuierlich wachsende – ruhige und ausgeglichene Ausstrahlung beeinflusst die Menschen, mit denen ich in Kontakt trete, positiv.
Das ist für mich der minimalistische Reichtum.
Und was macht Dich reich?
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Reich fühle ich mich, wenn ich die Menschen um mich habe, die ich liebe.
Reich bin ich auch, wenn ich einen sinnvollen Beruf ausüben darf.
Danke für diesen Post!