Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von meinem Vater. Er ist 78 Jahre alt und hat mit mir die Wanderführer Biergartenwanderungen Franken und Biergartenwanderungen Fränkische Schweiz geschrieben.
Etwa zweihundertmal im Jahr breche ich zu Spaziergängen oder kleinen Wanderungen auf. Das macht mir viel Freude und tut auch meiner Gesundheit gut. Wenn ich so durch die Gegend schlendere, vergleiche ich unwillkürlich das, was ich sehe, mit dem, was mir an Kindheitserinnerungen im Gedächtnis haften geblieben ist. Vieles ist immer noch schön anzusehen und bereichert mich. Anderes hat sich verändert, aus der Sicht eines Wanderers und Naturfreundes nicht unbedingt zum Besten. Manche der Pfade von früher sind verbreitert worden und nun geteert, Alleebäume wurden gefällt, die kleinteilige Landschaft ist in manchen Gegenden, vor allem durch die frühen Flurbereinigungen, ausgeräumt und begradigt worden. In den Dörfern wurden Straßen verbreitert und geteert, Höfe gepflastert und alles Grün einschließlich des alten Hausbaums beseitigt. Beginnend mit den 60er Jahren wurden viele der schönen Fachwerkhäuser als „Glump“ angesehen, abgerissen und durch seelenlose Neubauten im Einheitsstil ersetzt. Ein gewaltiger Verlust an dörflicher Kultur. Dem Himmel sei Dank, dass das nicht überall der Fall ist. Teilweise hat ein Umdenken eingesetzt. Man muss allerdings suchen, um unversehrte Ortsbilder und stille schmale naturnahe Wege zu finden.
Bei meinen Wanderungen hier in der oberfränkischen Region entdecke ich manchmal noch Gärten mit Obstbaumbeständen, so wie ich sie aus dem Garten meiner Kindheit kenne, und einzelstehende Walnussbäume und bäuerliche Streuobstbestände, die noch nicht der Säge oder einem Neubaugebiet zum Opfer gefallen sind. Oft sind die Bäume kaum gepflegt, tragen aber noch reiche Frucht. Nur selten werden sie abgeerntet. Stattdessen ist der Boden mit Fallobst bedeckt, das vor sich hin fault. Diese Verschwendung tut mir weh. Ich kann es nicht verstehen, dass die Leute aus den Dörfern lieber im Supermarkt Obst kaufen anstatt die Äpfel und Birnen zu pflücken oder vom Boden aufzuklauben.
Ich war das in meiner Kindheit anders gewohnt. In der Zeit vor und nach 1945 bereitete meine Mutter von September bis zum Frühjahr fast jeden Tag einen Apfelstrudel zu, der herrlich schmeckte. Die Äpfel wurden im Herbst auf einem Leiterwagen vorsichtig vom Garten nachhause gefahren und auf Obsthürden im Keller gelagert. Wenn es keine Äpfel mehr gab, standen regelmäßig Kartoffeln mit etwas Butter und gelben Rüben auf dem Speiseplan. Mit den „Erdäpfeln“ ist es heute ähnlich wie mit den Äpfeln und Birnen (von anderen Lebensmittels gar nicht zu reden). Die Qualität lässt oft zu wünschen übrig. Gute Kartoffeln sind für mich – wie auch gutes Brot – noch immer sehr wichtig. Nicht selten habe ich Kartoffeln, leider auch solche aus Bioanbau, erworben, die von schlechtem Geschmack waren. Nun haben wir einen Bauernhof gefunden, der uns Kartoffeln ins Haus bringt, die uns bei jeder Zubereitung erfreuen. Die Äpfel vom Supermarkt bzw. vom Gemüseladen schauen zwar makellos aus, schmecken aber fast immer fad. Zudem muss ich dann stets daran denken, wie wir in den 80er Jahren im schönen Südtirol bei einem Gang durch die Obstmonokulturen die „Schädlingsbekämpfung“ aus dem Hubschrauber über uns miterleben durften.
So sehe ich zu, dass ich Obst direkt beim Bauern kaufe. Gelegentlich gibt es in den Dörfern auch Versteigerungen, bei denen man für einen kleinen Betrag das Obst eines Baumes selber ernten darf. Wenn das nicht geht, mache ich es wie der „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ in Theodor Fontanes schönem Gedicht:
„Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll“
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Vielen lieben Dank an das wandernde und schreibende Vater-Sohn-Gespann für diesen schönen Text. Auch Deinen Garten-Gastbeitrag (ich darf doch du sagen, Helmut?) habe ich noch in guter Erinnerung…