Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Gilbert Dietrich. Er gibt das Online-Magazin Geist und Gegenwart heraus. Dort geht es um angewandte Philosophie, die eine ganz praktische Interpretations- und Lebenshilfe bietet, ohne sich den typischen Selbsthilfe-Mantras oder gar der Esoterik hinzugeben.
Wie die Reduktion auf das Wesentliche reich machen kann
Reich und glücklich sein, vielleicht auch noch schön … das sind die höchsten Standards in so vielen Gesellschaften. Philosophisch gehören diese Eigenschaften in die Kategorien von Ästhetik und Ethik des Lebens. Was „schön sein“ bedeutet, ist jeweils sehr von den gesellschaftlichen Übereinkünften, von Überlieferungen, Moden und Trends abhängig. „Glücklich sein“ ist so individuell, dass eine einheitliche psychologische und philosophische Praxis dazu nicht möglich ist. Umstände, die den einen Menschen glücklich machen, können einen anderen unglücklich machen oder keinen Einfluss auf dessen Glückserleben haben.
„Reich sein“ aber, scheint uns eine objektive Kategorie zu sein, man kann das an Zahlen ablesen: Was auch immer das Zahlungsmittel in einer Gesellschaft ist, man ist reich, wenn man viel davon hat. Egal ob es Gold ist, ob es Muscheln sind oder Gewürze – wenn es als Zahlungsmittel taugt, weil alle sich über die Stabilität des Werts dieses Mittels einig sind, dann ist derjenige reich, der viel davon hat. Bei uns sind diese Mittel lange schon im Geld abstrahiert. Geld ist in dieser Hinsicht nahezu magisch, denn wir können mit Geld alle anderen Mittel und noch vieles mehr erwerben. Kein Wunder also, dass bei uns derjenige als reich gilt, der viel Geld hat.
Von Besitz zu Zugang
Unsere Gesellschaft ändert sich jedoch ständig. Richtig reich sind im oben genannten Sinne heute nur sehr wenige Menschen. Seit spätestens 2016 besitzt das reichste Prozent der Weltbevölkerung mehr als die restlichen 99 Prozent zusammen. Auf der anderen Seite sehen wir einen Trend, der davon weg geht, Dinge zu besitzen und dahin geht, Zugang zu den Dingen zu erlangen. Ein Beispiel: Wer will heute in der Großstadt noch unbedingt ein Auto besitzen, das täglich rund 23 Stunden auf knapper Fläche rumsteht und dafür auch noch ständig Kosten verursacht? Der Zugang zu einem Auto ist in Städten mit Carsharing so leicht und günstig zu haben, dass der Besitz eines Autos für viele keine attraktive Option mehr ist. Wir sehen dasselbe bei Musik und Filmen, wo vielen der Zugang über das Streaming ausreicht, weil sie keine CDs oder DVDs mehr als Staubfänger im Regal benötigen.
Vom Haben zum Erleben
Im Zuge dieser Sharing-Kultur sehen wir tendenziell auch eine Höherbewertung von Erlebnissen gegenüber dem Besitz. Während früher ein Auto ein Statussymbol war, ist es heute ein Marathon oder eine Besteigung eines hohen Bergs. Und wenn wir nochmal an die Musik denken, fällt auf, dass der Besuch von Konzerten prestigeträchtiger geworden ist, als der Besitz einer CD.
Aber lassen wir uns nicht beirren. Auch in so einer Welt des Zugangs und des Erlebnisses hilft es natürlich, reich an Geld zu sein. Denn nur wer Geld zahlen kann, bekommt auch den Zugang zu Infrastruktur und Medien und den Mount Everest kann eh nur besteigen, wer sonst auch einen best ausgestatteten Mittelklassewagen aus der linken Hosentasche bezahlen könnte. Aber da befinden wir uns eben in den Regionen des Luxus. Wer den nicht unbedingt benötigt, weil es auch der Hausberg tut und nicht der Himalaya sein muss, kann in einer Welt des Teilens und Erlebens mit relativ wenig Geld auskommen.
Der andere Reichtum
Das alles gibt uns die Möglichkeit, Reichtum für uns einmal anders zu definieren. Dazu müssen wir uns von dem lösen, was es in der Gesellschaft so als Übereinkunft zum Reichsein gibt. Drehen wir stattdessen die Perspektive einmal um und fragen uns, was es für uns ganz persönlich bedeuten könnte, reich zu sein. Wenn wir uns nicht an anderen Menschen messen würden, uns nicht ewig vergleichen würden, sondern nur auf unsere Bedürfnisse schauen würden – was wäre Reichtum dann für uns? Ich habe für mich eine Reichtums-Philosophie adoptiert, die auf diesem Gedanken basiert:
„Reich ist, wer viel von dem hat, was ihm wichtig ist.“
Mit diesem Satz bin ich zu einer bescheideneren Definition von Reichtum gekommen, die es mir ermöglicht, zufrieden mit dem zu sein, was ich habe und die mir aufzeigt, worauf ich mich konzentrieren sollte, um meinen Reichtum zu mehren. Hier ein Beispiel: Mir ist derzeit sehr wichtig, dass ich viel Zeit mit meinem kleinen Sohn verbringen kann. Gleichzeitig brauche ich weiterhin meinen Sport und meine Zeit zum Lesen und Schreiben. Außerdem ist mir die Bewegung in der Natur wichtig. Ich bin noch nicht so reich, wie ich gern wäre, denn ich habe nicht genug von dem, was ich gerade beschrieben habe. Die Konsequenz daraus ist aber gerade das Gegenteil vom gesellschaftlich normierten Reichtumsstreben. Um in meinem Sinne reicher zu werden, muss ich auf Geld verzichten, anstatt mehr Geld zu erlangen. Das heißt also, ich arbeite weniger oder auch mal ein paar Monate gar nicht und verzichte auf Geld, um mehr Zeit zu gewinnen. Denn Zeit ist mir im Moment das wertvollste Gut.
Um fair zu bleiben, will ich sagen, dass man sich auch das leisten können muss. Vielleicht hat nicht jeder im Augenblick die Möglichkeit, weniger zu arbeiten, weshalb ich ein Freund der Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens bin. Es sind aber auch individuelle und langfristige Entscheidungen, die man treffen kann, wie zum Beispiel ganz bewusst kein Haus auf Kredit zu bauen oder zu kaufen. Kredite gehören zu den Knebelinstrumenten unseres Kapitalismus und zwingen uns zur Arbeit.
Am Ende ist es so, dass man sich selbst die Mühe machen muss zu verstehen, was einen ganz persönlich reich machen würde. Was ist mir wichtig? Wovon will ich mehr? Was brauche ich, um glücklich zu sein? Wer eine Antwort auf diese Fragen findet, weiß damit auch, worauf er oder sie sich konzentrieren sollte. Die Reduktion auf das, was einem wichtig ist, macht am Ende reich.
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Vielen Dan für den tollen Beitrag!
Ich glaube das sind genau die Fragen, die ich mir stellen sollte und auf die ich die Antwort tief im Inneren schon teilweise weiss.
Gruß
Heike