„Viel besser, nie besitzen, als verlieren.“ (Friedrich Hebbel, Die Nibelungen)
Vor einem Monat erklärte ich, warum weniger besitzen mehr leben bedeutet. Ich bekam daraufhin mehrere Lesermails, in denen mein Artikel gelobt wurde, aber auch durchsickerte, wie schwer es vielen fällt, sich von Besitz zu trennen. Wie kann es sein, dass dies förmlich Schmerzen verursacht, selbst wenn man den Gegenstand nicht mehr benötigt und einen fairen Preis dafür bekommt?
Der Besitztumseffekt
Es liegt am Besitztumseffekt, auch Endowment-Effekt genannt. Dieser bewirkt, dass Menschen eine Sache, die ihnen gehört, für deutlich wertvoller halten als eine gleichwertige Sache, die jemand anderem gehört. Der Psychologe Daniel Kahneman bildete für sein berühmtes Kaffeebecher-Experiment zwei Gruppen. Den Probanden der ersten Gruppe gab er Becher in die Hand und fragte welchen Verkaufspreis sie fordern würden. Die Probanden der zweiten Gruppe wurden gefragt, was sie zahlen würden, um den Becher zu bekommen. Der Preis der Verkäufer lag im Mittel bei 7,12 $. Die Käufer hingegen wollte nur 2,87 $ dafür hinlegen. Auch andere Experimente bestätigten, dass sich der Besitztumseffekt mindestens um den Faktor zwei auswirkt.
Wie Händler unsere Kaufbereitschaft erhöhen
Der Effekt zeigt sich in vielen Bereichen unseres Lebens. Wir bunkern jahrelang nicht genutzte Sachen im Keller anstelle sie zu entsorgen. Wir verkaufen Aktien sehr zögerlich, auch wenn sie rational längst nichts mehr im Depot zu suchen haben. Wir ärgern uns über steigende Preise mehr als wir uns über sinkende freuen. Auch manche Händler machen sich den Besitztumseffekt zu nutzen und geben Produkte auf Probe heraus. Wir fühlen uns so als Besitzer, was unsere Kaufbereitschaft erhöht.
Schmerz, lass nach
Vor wenigen Jahren konnte der Besitztumseffekt auch neurophysiologisch nachgewiesen werden. In einem Experiment wurde das Gehirn von Menschen untersucht, die sich von einer Sache trennten. Dabei beobachtete man, dass das Gehirn in der Inselrinde aktiv war. Die Inselrinde ist die Region, in der Schmerzen verarbeitet und emotional bewertet werden. Wer sich also von Besitz trennt, empfindet das als schmerzhaften Verlust.
Der Besitztumseffekt ist tief im menschlichen Wesen verankert. Er kann sogar bei Primaten beobachtet werden. Gibt man einer Gruppe Schimpansen Äpfel und einer anderen Gruppe Orangen, können sie sich – ähnlich wie die Menschen im Kaffeebecher-Experiment – nicht auf ein Tauschgeschäft einigen.
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Ich glaube, das lässt sich noch viel einfacher erklären mit einem einfachen Modell. Kennst du die Bedürfnis-Pyramide nach Maslow? Diese besagt, dass nach unseren Grundbedürfnissen wie z. b. regelmässige Nahrung als zweite Stufe bereits das Bedürfnis nach Sicherheit kommt. Und… Besitz gibt Sicherheit bzw. Verlust macht Angst, ist Sturz in das Unbekannte!! Also, das was du in deinem Artikel beschreibst. Man beachte!! Erst danach kommt das soziale Umfeld, die Anerkennung und die Selbstverwirklichung…