880 km durch Spanien, 2875 km auf dem Jakobsweg
Ich bin dann mal zurück. Die erste Erkenntnis zuhause in Nürnberg ist banal: Meine Jeans passen mir nicht mehr und sie fühlen sich so schwer an, nachdem ich die letzten Monate nur Shorts und leichte Kunstfaserhosen an hatte.
Am 7. Oktober habe ich Santiago de Compostela, 3 Tage später Finisterre am Atlantik erreicht. Ich war 108 Tage und 2875 Kilometer unterwegs.
880 km sind es auf dem berühmten Camino Frances nach Santiago de Compostela und weiter zum Kap von Finisterre. Einen Monat habe ich dafür gebraucht, was einen Schnitt von gut 28 Kilometern entspricht. Nach so vielen Wochen auf Achse fiel mir das tägliche Gehen leicht. Die schnelle Regeneration durch die vegane, möglichst vollwertige Kost und der leichte Rucksack mit einem Volumen von 32 Litern steigerte mein Lauflaune.
Der hässlichste Fernwanderweg der Welt?
Doch leider hat mich der Camino Frances in vieler Hinsicht enttäuscht. Zu viel Asphalt und Lärm, zu viele Städte, Dörfer, Industrie und Stromkabel, zu viel Müll und Toilettenpapier am Jakobswegesrand, zu viel Kommerz und Massenabfertigung, zu viele Pilger und Pilgerinnen, zu wenig Natur und Wanderpfade, zu wenig Ruhe und Einsamkeit, zu wenig Herzlichkeit und Natürlichkeit bei den Spaniern. Wie muss es hier erst im Hochsommer zugehen, wenn noch mehr Menschen unterwegs sind. Oft kam mir der Gedanke, dass ich mich auf dem wohl hässlichsten Fernwanderweg der Welt befinde.
Ein paar schöne Abschnitte gab es natürlich schon. Die Überquerung der Pyrenäen etwa, die karge Meseta, die bewaldete Hügellandschaft in Galizien. Wegen des Naturerlebnisses ist man kaum auf dem Camino Frances unterwegs. Es sind die Begegnungen mit Menschen aus aller Herren Länder. So unkompliziert und schnell lernt man fast nirgends jemanden kennen. Von den Pilgern aus den englischsprachigen Ländern und den größeren Gruppen hielt ich mich nach Möglichkeit fern. Erstere gingen mir mit ihrem Fragenkatalog („Where are you from?“, Where did you start?“, „How many kilometers do you walk a day?“ …) auf den Keks, zweitere mit dem abendlichen Geschwätz bei zu viel Rotwein.
Als Single auf langer Wanderschaft gehören Flirts dazu
So lief ich oft alleine oder hielt mich an andere alleinreisende Außenseiter. Ich führte interessante, vielleicht inspirierende Gespräche mit Valerie aus Belgien, Rinor aus den USA, Inbar aus Israel, Tina aus Deutschland und Kristine, einer Malerin und Yogalehrerin aus Lettland. Mit Kristine verbrachte ich mehrere Tage und bald auch die Nächte. Es war mein zweiter Flirt auf dem Jakobsweg, was als Single auf langer Wanderschaft dazugehört.
Die Ankunft in Santiago de Compostela hatte ich mir anders vorgestellt. Zunächst erreichte ich den Monte do Gozo. Die Türme der Kathedrale, die Millionen Menschen hier oben in den letzten Jahrhunderten schon erblickt haben, waren nicht auszumachen. Nebel und Smog lagen über der großen Stadt. Das monströse Denkmal ist auch keine Augenweide. Es erinnert seit 1993 an die Papstbesuche und rostet vor sich hin. Nach ein paar Kilometern durch unattraktives Stadtgebiet war es endlich soweit. Die Kathedrale von Santiago de Compostela tauchte auf. Schließlich stand ich auf der Praza de Obradoiro und schaute auf die monumentale Fassade des Kirchenbaus. Ich war froh angekommen zu sein. Ich war stolz auf meine Leistung. Ergriffen oder zu Tränen gerührt war ich nicht. Dazu hat es mir der Jakobsweg zu oft zu schwer gemacht. Mir war in dem Moment klar, dass ich mich anderntags noch auf den 85 km langen Weg nach Finisterre machen werde.
Finale Grande am alten Ende der Welt
Kristine begleitete mich auf diesem letzten Abschnitt. Am dritten Tag wanderten wir lange durch Wald und Heidelandschaft. Dann war plötzlich am Horizont der Atlantik zu sehen. Es war für mich einer der Höhepunkte der Tour und erinnerte mich an meine Alpenüberquerung Salzburg – Triest, bei der man auf dem letzten Alpenpass am Horizont das Mittelmeer schimmern sieht. Zum Atlantik war es dann nicht mehr weit. Wir konnten kaum glauben, dass wir die weiße Sandbucht von Estorde ganz für uns alleine hatten. Ich ging in meiner Sportshorts über den warmen Sand ins Meer und schwamm eine kurze Runde. Das Wasser war gar nicht so kalt, schmeckte sehr salzig. Kristine rannte nackt ins Meer. So macht sie es auch in Lettland.
Zum Sonnenuntergang waren wir am Kap von Finisterre. Im Altertum galt dies als das Ende der Welt. Der Ort hat noch immer etwas Magisches. Es war für mich das perfekte Finale meines Jakobsweges. Hinter mir der Leuchtturm, unter mir die Steilküste, vor mir nichts als das rauschende Meer, neben mir eine attraktive Frau. Wir hatten Rotwein und ein Picknick dabei, um den Moment gebührend zu feiern.
Das Wunder mit den Wunden
Ab dem nächsten Tag war schlechtes Wetter mit viel Regen angesagt. Eines von zwei Wundern der letzten 108 Tage war das grandiose Wetter. Ich hatte insgesamt kaum mehr als fünf Stunden Regen. Das zweite Wunder ist, dass ich die letzten fünf Tage ohne Tape und Pflaster gehen konnte, nachdem ich am Bodensee aufgrund von Blasen an den Füßen fast aufgeben musste und danach lange mit schmerzhaften Wunden herumlief.
Dass der Jakobsweg ein Weg ist, auf dem richtige Wunder geschehen und sich jeder verändert, halte ich größtenteils für einen Mythos. Natürlich habe ich interessante Menschen kennengelernt und kehre ich mit einem Haufen an Ideen und Inspirationen nach Franken zurück. Das kenne ich aber auch von meinen Alpenüberquerungen, Fernwanderungen und Radreisen. Die eine oder andere Idee und Inspiration möchte ich auf Einfach bewusst aufgreifen.
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Glückwunsch zum Ankommen! Ich lese erst seit zwei Wochen deine Berichte, habe also nur das Ende live mitbekommen. Nun lese ich die Berichte von Anfang an nach. Mancge sind sehr unterhaltsam und oft muss ich lachen oder schmunzeln. Andere Berichte sind dann wieder nachdenklich oder regen zum Nachdenken an. Gute Mischung!