
Dieser Artikel ist bereits der fünfte Gastbeitrag von Johanna Katzera (geborene Wagner) auf Einfach bewusst. Johanna hat drei Bücher geschrieben und bietet eine Seminar- und Wanderwoche auf Sylt mit dem Motto „Achtsamkeit und positive Lebensgestaltung“ an.
Es ist nichts Neues, wenn ich vorschlage, eine Zeit lang nichts Neues zu kaufen oder zu beginnen, sondern dem, was wir haben, einen neuen Wert beizumessen. Neu ist vielleicht, diese Idee im eigenen Leben umzusetzen.
Das Glück, das an Tausenden Bedingungen hängt
Die größten Ablenkungen sind meist nur einen Griff weit entfernt in der Hosen- oder Handtasche – oder noch näher: Sie sitzen als Gedanken in unserem Kopf. Reißen uns fort in unser Gestern oder Morgen; verzaubern uns mit falschen Notwendigkeiten, versprechen uns also das große Glück, wenn wir endlich dieses oder jenes erreicht, gekauft oder bewältigt haben.
Das Glück ist an Bedingungen geknüpft, an noch mehr, an den Urlaub, an das „Ach wenn doch nur noch diese eine Sache anders wäre …“ Und in all dem Pläneschmieden und Luftschlösserbauen übersehen wir unseren aktuellen Standort: Unser Schloss, in das uns unser Lebensplan längst geführt hat. In dem wir uns eingerichtet haben, in dem wir mit lieben Menschen zusammenleben und das Leben genießen könn(t)en.
Ein Gefühl von Mangel (mitten im Überfluss)
Doch durch den ewigen Blick aus unseren Fenstern auf die andere Straßenseite, verlieren wir uns selbst aus den Augen. Dann ist klar, dass wir immer mehr wollen und auch brauchen, weil wir gar nicht sehen können, was schon vorhanden ist.
Umgeben von Werbung und Einblicken auf persönliche Bühnen anderer, die immer nur die beste Performance zeigen, erscheint der Mangel manchmal größer als die Fülle. Oder zumindest die Fülle der anderen viel voller als die eigene. Dabei suggeriert das virtuelle Schaufenstergucken eine Unzulänglichkeit, die gar nicht existiert – sondern dadurch erst entsteht.
Wer seine Aufmerksamkeit ständig nach außen richtet (und so funktioniert unsere „normale“ Welt) und immer mehr will (auch so funktioniert sie), versetzt sich selbst in ein Gefühl von Mangel. Das macht unzufrieden.
Wir haben mehr als genug
Wir versinken im Zuviel. Und genau das ist das Problem. Unsere Anschaffungen, Ideen und Möglichkeiten verlangen von morgens bis abends nach unserer Aufmerksamkeit und Energie. Wir docken überall mal kurz an, aber gelangen nicht ans Ziel. Und obwohl oder wahrscheinlich weil wir manchmal all das, was wir haben, nicht genießen können, schaffen wir uns Neues an. Weil der schnelle Kauf oft einfacher ist als in der überfüllten Schublade fündig zu werden.
Mit unserem kleinen Tor zur Welt in der Hand sitzen wir auf der Couch und haben das Gefühl, dass alles möglich sei – hätte unser Tag nur so viele Stunden wie wir Ideen. Und während unser Blick und Kopf sich in der Welt hinter dem Display verliert, übersehen wir unsere eigenen vier Wände und den Reichtum des Menschen, der sein Smartphone in den Händen hält.
Ein anderer Blickwinkel
Es liegt an unserer Haltung, wie reich wir uns schätzen. Ob wir erkennen, was wir haben. Ob wir nutzen, was wir besitzen. Und ob wir verstehen, wie viele Schritte wir schon gegangen sind, damit wir jetzt und hier im Hier und Jetzt stehen – es ist unsere ganz persönliche Lebensgeschichte, die sich zum Glück mit keiner anderen vergleichen lässt.
Das, was ist, ist oft viel besser als wir glauben – im Nachhinein erst recht.
Wer seinen Blick nicht von Zeit zu Zeit auf sich selbst lenkt, sich selbst von innen heraus betrachtet und aus dem Innen in die Welt blickt, der wird immer mehr von außen benötigen, und sich innerlich doch nicht erfüllt fühlen. Weil das, was wir erhaschen wollen, nicht in uns hineinpasst. Weil sich das, was wir suchen, nicht im Außen versteckt. Es muss aus uns erwachsen.
Wir sollten wertschätzen, was wir haben
Genießen im Innen und im Außen. Unsere Fülle wieder wahrnehmen, die Ideen verwirklichen, die Hobbys ausführen, die Gegenstände bewegen, Bewegung in unser Leben bringen, indem wir den Radius vielleicht erst mal wieder kleiner ziehen und genau dadurch vergrößern, weil endlich wieder Raum für uns bleibt. Für unser authentisches echtes Ich. Es ist egal, welche Show die anderen aufführen, wo sie stehen, wohin sie gehen und was die Schaufenster anbieten – in unseren eigenen vier Wänden und in der Hülle unseres Körpers haben wir alles, was wir brauchen.
Wir müssen uns dessen nur wieder bewusst werden.
Das Konzept des Vertiefens
Nichts Neues beginnen, nichts Neues anschaffen – so lautet die Idee des Konzepts des Vertiefens. Der Rest passiert von selbst. Wir richten den Blick auf das Bestehende und messen dem einen neuen Wert bei. Mit diesem Blickwinkel hieven wir uns vom Mangel in die Fülle. Wir verzichten gewissermaßen auf die kleinen Dosen Dopamin, die unser Gehirn ausschüttet, wenn etwas Neues in der Tasche landet, und tauschen es gegen Zufriedenheit und Selbstgenügsamkeit ein.
Wir beenden Prozesse. Wir setzen den Punkt am Ende des Satzes. Wir lesen das Kapitel bis zum Ende. Wir schlagen das gelesene Buch zu. Und wir freuen uns darüber. Über die Pause. Wir sinnen darüber nach und lassen Raum zum Sein. Wir stopfen endlich die Löcher, aber nicht jede Lücke mit gedankenloser Aktivität oder einem automatischen Griff zum Smartphone. Vielleicht müssen wir die Stille zunächst aushalten, um den Zauber ihres Klangs zu erkennen.
Hier ein paar Ideen, wie du das Konzept des Vertiefens in deinem Leben umsetzen kannst:
- Lies die ungelesenen Bücher aus deinem Regal, ehe du dich im Buchgeschäft verzaubern lässt und dich für die Urlaube der nächsten Jahre eindeckst.
- Lies ein gutes Buch ein zweites Mal.
- Verwandle die gesammelten Rezepte in Gerichte.
- Leere die angefangenen Kosmetikprodukte und Parfümfläschchen.
- Verbrauche den Vorrat deiner Küchenschränke.
- Nutze das Küchenzubehör, das nur jedes zweite Jahr die Schublade verlässt.
- Erwecke vergessene Kleidungsstücke zum Leben.
- Bring entwickelte Fotos an den Wänden an.
- Versende die gesammelten Postkarten.
- Mach Urlaub zu Hause und gönn dir etwas Außergewöhnliches.
- Verbessere deine Fähigkeiten und vertiefe deine Interessen, anstatt neue zu beginnen: Praktiziere regelmäßig Yoga, nimm die Gitarre öfter zur Hand und Spanisch häufiger in den Mund.
- Feiere deine persönlichen Erfolge und gönn dir Entspannung, ehe du dich auf den Weg zum nächsten Ziel machst.
Nichts Neues zu kaufen oder zu beginnen, macht zufrieden und lebendig
Erweck die Dinge zum Leben – erweck dein Leben zum Leben. Vieles ist nur eingestaubt, festgewachsen oder eingefahren. Ein anderer Blickwinkel ändert nicht die Umstände, aber vermag manchmal alles andere zu verändern. Wir haben so viel mehr, als wir meinen, und vor allem: Wir brauchen so viel weniger als wir denken. Alles, was wir in dieser Zeit nicht benutzen, dürfen wir guten Gewissens aus unserem Leben entlassen und uns über den gewonnenen Raum oder die freie Zeit freuen.
Eine Zeit lang nichts Neues zu kaufen oder zu beginnen und sich am Vorhandenen zu erfreuen, macht zufrieden und lebendig. Probiere es aus. Für eine Woche, einen Monat, ein Quartal, ein ganzes Jahr … Richte das äußere Suchen wieder nach innen. Tauche ein, anstatt an einer unruhigen Oberfläche zu schwimmen.
Viel Spaß beim Vertiefen – und erzähl uns, wie es läuft oder, wenn du weitere Ideen gesammelt oder schon Erfahrungen gemacht hast.
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