„Erklimme die Berge und spüre die gute Energie. Der Friede in der Natur wird in dich fließen wie der Sonnenschein, der die Bäume nährt. Der Wind wird dich erfrischen, der Sturm dich mit Kraft erfüllen und alle deine Sorgen werden abfallen von dir, wie Herbstblätter.“ (John Muir)
Wer gerne im Gebirge ist und Mehrtagestouren für sich entdeckt hat, träumt früher oder später von einer Alpenüberquerung. Ich glaube, solche Träume sind dazu da, erfüllt zu werden. Deswegen bin ich in den letzten beiden Sommern von München nach Venedig und von Salzburg nach Triest gewandert. Die meisten, die gesund sind und über eine durchschnittliche Konstitution verfügen, könne das auch schaffen. Trotzdem brechen viele Alpenüberquerer vorzeitig ab. Auf dem Traumpfad München-Venedig lag der Anteil der Abbrecher unter meinen Mitwanderern bei einem Drittel. Dies muss nicht sein, wenn man ein paar grundsätzliche Dinge beachtet.
1. Schwindelfreiheit und Trittsicherheit prüfen
Auf jeder Alpenüberquerung gibt es Etappen, die alpine Erfahrung, Schwindelfreiheit und Trittsicherheit erfordern. Vor allem bei Wetterumbrüchen mit Nebel, Regen oder Schnee können diese Wegstellen gefährlich werden. Zwischen München und Venedig sind das zum Beispiel der Abstieg vom Schlauchkarsattel und der Aufstieg von der Roa-Scharte zur Nives-Scharte. Die Route von Salzburg nach Triest ist etwas einfacher. Exponiertes Gelände und kurze mit Drahtseilen versicherte Stellen müssen aber auch hier überwunden werden. Bevor man sich ins Abenteuer stürzt, sollte man bereits Erfahrung in den Bergen gesammelt haben.
2. Vor dem Abmarsch Fitness aufbauen
Täglich bis zu neun Stunden zu wandern, erfordert ein gewisses Maß an Fitness und Kondition. Ohne dem kann bald jeder Schritt zur Qual werden. Zwar kommt die Fitness im Laufe der Wochen beim Gehen, jedoch warten die Alpen und somit unzählige Auf- und Abstiege bereits zweieinhalb Tage hinter München bzw. zwei Stunden hinter Salzburg. Ich empfehle mindestens sechs Wochen vor dem Abmarsch mit dem „Trainingslager“ zu beginnen.
3. Schuhe einlaufen
Gibt es etwas Unangenehmeres, als mit Blasen an den Füßen über die Alpen zu steigen? Auch Blasenpflaster helfen dann oft nicht mehr. Man sollte also nur mit gründlich eingelaufenen Bergschuhen München oder Salzburg verlassen. Am Besten kauft man sie im Fachgeschäft, im Zweifel eine halbe oder ganze Schuhgröße größer. Auf mehrwöchigen Bergtouren schwillt der Fuß nämlich stärker an als auf Tagestouren.
4. Nur das Nötigste mitnehmen
Weniger ist mehr, auch oder gerade auf einer Alpenüberquerung. Jedes Gramm muss jeden Meter und jeden Höhenmeter fortbewegt werden. Ich versuche inklusive zwei Liter Wasser ein Gesamtgewicht von zehn Kilogramm auf dem Rücken nicht zu überschreiten. Auf einer mehrtägigen Hochgebirgeswanderung klappt das problemlos. Auf unserer diesjährigen Alpenüberquerung lag ich etwas darüber, da ich zusätzliche Karten, mehr Proviant und weitere Gegenstände wie eine Stirnlampe mitnahm. Trotzdem passte noch alles in einen 32 l Rucksack. Zu zweit oder in der Gruppe zu wandern, hat den Vorteil, dass man sich Ausrüstung teilen und Gewicht sparen kann.
5. Nicht auf Wanderkarten verzichten
Manche Wanderführer, wie die aus dem Bergverlag Rother, beinhalten Kartenausschnitte, die für die Orientierung in der unmittelbaren Umgebung ausreichen. Da ist es verlockend, auf zusätzliche Karten zu verzichten. Für eine komplette Alpenüberquerung sind das immerhin rund acht Stück. Bei mir kommen sie trotzdem in den Rucksack. Aus zweierlei Gründen: Erstens kann ich so nach Lust und Laune die vorgegebene Route variieren oder bei einem Wettersturz ins Tal absteigen. Zweitens kann ich mich anhand einer Karte auch über die nähere Umgebung hinaus zurechtfinden. Stehe ich auf einem Gipfel, möchte ich doch wissen, wie dieser mächtige schneebedeckte Gebirgszug auf der anderen Seite des Tals heißt. All dies ist mit kleinen Kartenausschnitten kaum möglich.
6. Vertrauen
Eine Reise zu Fuß ist ein kleines Abenteuer. Man wird vorab nicht erfahren, was einen unterwegs alles erwartet. Wahrscheinlich wird gerade das Unerwartete eintreten. Solange man aber Grundlegendes (wie die Tipps in diesem Blogbeitrag) beachtet hat und sich nicht unnötig in Gefahr bringt, spricht nichts gegen den Aufbruch. Vertrauen hilft dabei den ersten Schritt und die weiteren rund eine Millionen zu machen, Vertrauen auf den eigenen Körper, Vertrauen auf die Hilfsbereitschaft anderer Wanderer und Vertrauen auf die Herzlichkeit in den Hütten.
7. Ohne Zeitdruck wandern
23 Tage hatten Stephi und ich heuer Zeit, die Piazza dell’Unità d’Italia in Triest zu erreichen. Nach 23 Tagen, wenige Stunden bevor unser Nachtzug zurück nach Deutschland abfuhr, erreichten wir das Ziel. Dieses knappe Unterfangen war nur möglich, weil wir äußerst lange Etappen liefen, gesund blieben und das Wetter mitspielte. Besser ist es, einen vollen Monat einzuplanen. Gerade in den Bergen kann viel Unvorhergesehenes passieren. Auch wenn alles nach Plan läuft, möchte man in einer Landschaft, die in Millionen von Jahren entstand ist, lieber nicht hetzen. Ideal wäre es, kein festes Ende zu haben. Im Sommer letzten Jahres kündigte ich meinen Job und war frei wie ein Vogel. 32 Tage nachdem ich in München gestartet war, trudelte ich in Venedig ein. Wer zu wenig Urlaub am Stück bekommt, kann die Tour aufteilen. Im ersten Sommer könnte man von Salzburg über die Berchtesgadener Alpen, die Salzburger Schieferalpen und die Hohe Tauern gehen. Im zweiten Jahr stünden dann die Gailtaler Alpen, der Karnische Hauptkamm, die Julischen Alpen und Friaul-Julisch Venetien auf dem Programm.
8. Mit Trekkingstöcken gehen
Hätte mir vor ein paar Jahren jemand gesagt, dass ich vor Eintritt ins Rentenalter mit Gehhilfen wandern würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Zum Glück habe ich auf den Ratschlag erfolgreicher Alpenüberquerer gehört, Trekkingstöcke mitzunehmen. Ohne wäre ich vielleicht nie in Venedig oder Triest angekommen. Trekkingstöcke sorgen für Halt in schwierigem Gelände und für eine ausgewogenere Belastung der Arme und Beine. Längst sind diese modernen Wanderstöcke, die etwa bei Bergzeit erhältlich sind, leicht und ineinander schiebbar. Man kann sie problemlos am oder im Rucksack verstauen, um an gesicherten Stellen die Hände frei zu haben oder das Gleichgewichtsgefühl beim „normalen“ Gehen nicht zu verlieren.
9. Ausreichend schlafen
Wer in einem Monat von Salzburg ans Mittelmeer geht, bewältigt täglich durchschnittlich 18 km, 860 Höhenmeter im Aufstieg und 875 Höhenmeter im Abstieg. Zwischen Marienplatz und Markusplatz sind ähnliche Leistungen gefragt. Um dies zu schaffen, ist Regeneration sehr wichtig. Dazu zählt neben der Versorgung mit Nährstoffen vor allem ausreichend Schlaf. Diesen fand ich meist problemlos, selbst wenn ich mit zwanzig anderen im Matratzenlager lag. Für den Fall, dass mein Bettnachbar schnarcht, habe ich Ohropax griffbereit. Am besten schläft man natürlich im eigenen Zimmer. Diesen Luxus sollte man sich gelegentlich im Tal oder, sofern verfügbar, auf der Hütte leisten.
10. Zeitig aufbrechen
Ich versuche in den Bergen möglichst früh loszukommen. „Möglichst früh“ bedeutet für mich gegen 8 Uhr. Bei langen Etappen bleibt einem gar nichts anderes übrig, um das Tagesziel ohne Hetze zu erreichen. Aber auch an Tagen mit kürzerer Wegstrecke empfiehlt es sich aus mehreren Gründen, nicht auf Sprüche wie “Frühaufsteher sind schon abends Spielverderber” zu hören. Morgens ist die Luft angenehm kühl und das weiche Licht ideal zum Fotografieren. Mittags hat man bereits einen großen Teil des Pensums geschafft und kann eine Weile aus der Sonne gehen. Und wenn am Spätnachmittag in den Alpen oft Gewitter aufziehen, befindet man schon auf der Hütte.
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Lieber Christof,
man denkt immer,dass alles bekannt sei,aber Deine Tipps beweisen,weit gefehlt.
Du hast mit Deiner Trekking-Tour Erfahrungen gesammelt und hier vermittelt.Dafür danke ich Dir.
Ich werde mit fast 70 Deine Tour nicht machen,aber bei meinen bescheidenen Touren Deine Tipps mit nutzen.
Viele Grüsse, Christian.