Warum Selbstliebe kein Egoismus ist – und was das mit Minimalismus zu tun hat

25. August 2019 - von Corinna Sonja Stenzel - 6 Kommentare
Warum Selbstliebe nicht Egoismus ist - und was das mit Minimalismus zu tun hat

Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Corinna Sonja Stenzel. Sie arbeitet als Coach für Persönlichkeitsentwicklung, professionelles Auftreten und bewusste Sprache – sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich.

Viele Menschen haben ein ungutes Gefühl, wenn sie das Wort „Selbstliebe“ lesen. Sie verbinden es mit Egoismus oder Arroganz. Sie haben vielleicht das Bild von einem eingebildeten, egoistischen oder sogar narzisstischen Menschen im Kopf. Kommt dir bei dem Wort „Selbstliebe“ auch so ein negatives Bild in den Sinn? Falls ja, dann lass mich dir sagen: Selbstliebe hat mit all dem nichts zu tun. Selbstliebe ist das Gegenteil von Egoismus oder den anderen negativen Assoziationen.

Des Rätsels Lösung: Wenn wir bei dem Wort „Selbstliebe“ ein unangenehmes Gefühl haben, dann liegt das meistens daran, dass wir es mit Selbstverliebtheit verwechseln. Um den Unterschied zwischen Selbstverliebtheit und Selbstliebe zu verstehen, schlage ich einen einfachen Trick vor. Lassen wir die Vorsilbe „Selbst“ weg und betrachten wir die Verliebtheit und die Liebe.

Wenn wir verliebt sind, sind wir oft nur in eine Fantasie verliebt. Wir projizieren unsere perfekte Fantasie des anderen auf ihn hinauf. Wir idealisieren ihn. Wir stellen ihn auf ein Podest und schauen zu ihm hoch wie zu einer Staue, die wir verehren. Wir beleuchten das Objekt unserer Begierde mit bunten Scheinwerfern und streuen vielleicht noch ein bisschen Glitzer obendrauf. Wir betrachten es wie bei dem Bildbearbeitungsprogramm auf dem Handy durch einen Filter, der alle Makel ausblendet. Wir sind verliebt in eine Illusion.

Wahre Liebe hat mit Illusion oder Fantasie nichts zu tun. Wahre Liebe ist Realität. Sie sieht den anderen so, wie er ist. Sie nimmt ihn an, so wie er ist. Sie sagt: „Ich sehe deine Makel, ich sehe deine Schwächen, ich sehe deinen dicken Bauch, ich weiß um deine Macken, du nervst mich oft … und ich liebe dich.“ Wenn wir jemanden wahrhaftig lieben, lieben wir ihn nicht, weil er perfekt ist, sondern trotz oder gerade wegen seiner Unperfektheit. Bei der wahren Liebe steht niemand auf einem Sockel und niemand unter einem Podest. Wir begegnen uns auf Augenhöhe und auf dem realistischen Boden der Tatsachen.

Und genau so ist es auch mit der Selbstverliebtheit und der Selbstliebe. Wenn Menschen in sich selbstverliebt sind, stellen sie sich selbst auf dieses Podest. Sie blicken von ihm aus auf andere herunter. Selbstverliebte Menschen machen andere klein, um sich selbst größer zu fühlen. Wer in sich selbstverliebt ist, sieht sich selbst durch den rosaroten Filter. Er blendet seine Fehler und Schwächen aus und denkt: „Ich bin der Tollste. Ich bin die Schönste. Ich habe keine Schwächen. Ich bin besser als du. Ich stehe über dir.“

Und das ist der Unterschied zur Selbstliebe. Wer sich selbst liebt, der nimmt sich an, so wie er ist. Mit allem, was er an sich mag, und auch mit allem, was er nicht so gern an sich hat. Er nimmt auch seine Fehler, Schwächen und Ängste liebevoll an. Er schließt Frieden mit sich. Er sagt vollständig Ja zu sich.

Und wenn ein Mensch sich selbst liebevoll mit allen Fehlern und Schwächen annehmen kann, dann kann er auch andere Menschen mit deren Fehlern und Schwächen liebevoller annehmen. Wenn ich im Frieden mit mir selbst bin, dann kann ich auch im Frieden mit dir sein. Wenn ich mich selbst liebe, dann kann ich auch dich lieben. Wer sich selbst liebt, hat alles, was er braucht, und verwechselt Brauchen nicht mit Lieben. Wer sich selbst liebt, teilt gerne. Wer sich selbst liebt, wer in sich ruht, wer sich gefunden hat, wer vor Freude strahlt, wer in echter Herzenswärme lebt und wer er selbst ist, der macht nicht nur sich, sondern auch allen anderen Menschen das größte und schönste Geschenk. Es ist also absolut okay, sich selbst zu lieben! Es ist sogar sehr wichtig. Ich möchte fast sagen, dass es unsere größte Aufgabe im Leben ist.

Und was hat das alles mit Minimalismus zu tun? Ein minimalistisches Leben bedeutet für mich in erster Linie ein bewusstes Leben. Es bedeutet für mich, mich jeden Tag zu fragen, wie ich in bester Liebe zu meinem Leben und zu mir selbst leben kann. Wenn wir uns jedoch nicht selbst lieben, ist eine Leere in uns. Oft versuchen wir, diese mit Dingen zu stopfen, die wir kaufen oder konsumieren. Und weil wir nach dem kurzen Glücksrausch über das neue Auto oder den zehnten Lippenstift merken, dass das eigentlich nicht das war, wonach wir tief im Inneren gesucht haben, und wir uns noch immer leer fühlen, kaufen wir weiter und weiter und weiter, immer auf der Suche nach Erfüllung, die wir so nie finden.

Deshalb möchte ich dich von ganzem Herzen ermutigen und einladen, nach Hause zu kommen. Mach dich auf die Heimreise zu dir selbst. Es lohnt sich. Ich lade dich ein, dich selbst kennen und lieben zu lernen und herauszufinden, was deine Seele nährt. Die folgenden Fragen können dir dabei helfen.

Was bringt deine Augen zum Leuchten?
Was bringt dein Herz schneller zum Schlagen?
Wonach ruft deine Seele?
Was ist deine tiefste Sehnsucht?
Wie kannst du wirklich du selbst sein?
Woran möchtest du dich als alter Mensch mit einem Lächeln auf den Lippen zurück erinnern?
Wofür lohnt es sich zu leben?

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6 Kommentare für “Warum Selbstliebe kein Egoismus ist – und was das mit Minimalismus zu tun hat”

  1. Liebe Corinna,
    der Artikel gefällt mir sehr, so der Kerngedanke von der Selbstliebe als Selbstannahme einschließlich der eigenen Unvollkommenheiten. Dass Minimalismus die logische Konsequenz aus dieser Selbstannahme ist, war mir in dieser Direktheit eine Zeit lang aus der Wahrnehmung gefallen und jetzt beim Lesen wieder aufgefallen. Ich muss mein Selbst nicht durch Haben darstellen, sonders es gewinnt mit weniger Haben unso mehr. Obwohl, Erich Fromm führt das ja in seinem Klassiker „Haben oder Sein“ gründlich aus. (Diese Lektüre liegt für mich lange zurück, muss ich mir mal wieder vornehmen.)
    Zweiter Gedanke: Dass die Nächstenliebe zu ihrem Verständnis die Selbstliebe voraussetzt, wird beim Lesen oder Zitieren des Gebots Leviticus (3.Mose)19,18 oft noch unterschlagen. Liebe deinen Nächsten, denn er ist (fühlt) wie du, lautet eine rabbinische Erklärung.

    Danke und freundliche Grüße
    Jörg

    1. Lieber Jörg,

      treffender hätte ich es nicht ausdrücken können. Vielen Dank für deinen wunderbaren Kommentar. Ich freue mich sehr, dass dir mein Artikel gut getan hat! Mir selbst tut es immer wieder gut, mich liebevoll daran zu erinnern, dass ich ICH sein darf.

      Corinna

  2. Bitte macht weiter so. Ich glaube, daß das hier das allererste Forum ist, daß meine Seele berührt. Mir ist Offenheit und Ehrlichkeit ein Bedürfnis, und Ihr geht so wunderbar offen mit Euren kleinen und großen „Schwächen“ (die ja im Grunde Stärken sind/sein sollen, um ;)). DANKE dafür! Ich las mal: „Mit der Lüge kommst Du um die ganze Welt, aber nicht wieder zurück.“ Um äußerlich dazuzugehören und nicht „anzuecken“, sei es in der narzisstischen Ursprungsfamilie oder anderswo, „funktionierte“ ich und belog mich dadurch selbst. So verlernte ich step by step, auf mich und meine Gefühle zu hören. Als ich später und glücklicherweise noch nicht zu spät nach einem „Warnschuß“ wieder damit anfing, begab ich mich zurück auf die innere Reise zu mir selbst. Selbsterhaltungsliebe ver-/gemischt mit Nächstenliebe, wo immer sie im Außen gefragt/gewünscht/gebraucht wird, nenne ich es heute bewußt. Es war Bewußtseinstraining für meinen Kopf und brachte mich und meinen Körper wieder zusammen mit meinem Geist, dem ich heute am Tag der Einheit bewußt erlaube, mich auch im Außen für Frieden und internationale Solidarität zu entscheiden. Doch dieser innere bewußte Weg zurück zu meinem Wiederfühlen brachte mich auch wieder mit meiner inneren Seele in Verbindung. Bleibt also bitte schön gesund da draußen und sorgt bitte gut für Euer emotionales Gleichgewicht im Kopf. Herzlichst Annika

    1. Hallo liebe Annika, von Herzen Danke für deine wunderbaren Zeilen. Sie haben mich gerade in einem privaten Moment erreicht, in dem sie mir besonders viel bedeutet haben. Wie ein kleines Schicksalswunder. Und es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass man mit anderen Menschen verbunden ist auf dem gemeinsamen Weg zum inneren zu Hause. Von Herzen alles Liebe für dich, Corinna ♡

      1. Liebe Corinna, ich danke Dir sehr für Dein so unerwartet und überaus herzliches und liebevolles Dankeschön.♡☆♡ Als ich die Zeilen schrieb, habe ich gar nicht groß nachgedacht…sie flossen mir sozusagen von Kopf&Herz in die Finger. Ich freue mich daher sehr, daß sie Dich berührten und weiterhalfen. Immer wieder hörte ich, daß wir ja zum Lernen hier sind. In meiner Schulzeit gab es diese Poesiealben. Ich hatte immer 2: „Wenn Berg und Tal sich trennen und wir uns nicht mehr kennen, dann schau auf dieses Blatt, wer das geschrieben hat.“ zusammen mit „Lernen ist wie Rudern gegen den Strom~sobald Du aufhörst, fällst Du zurück.“ Ich liebe z.B. mittlerweile meine Träume. Manche Menschen haben dafür nur Spott übrig und meinen sie seien Unsinn. Für mich waren und sind sie Botschaften des Unterbewußtseins. Heute freue ich mich auf alle Träume…sie sind gute kleine „Helferlein“… Alles Liebe von Herzen zurück an Dich und fühl Dich verbunden mit allen/m Annika

      2. Und ein kleines P.S., liebe Corinna, mir persönlich ha/elfen für das innere Gleichgewicht in meinen Kopf für die Traumanalyse ☆www.traumdeuter.ch und immer wieder gern ☆ Raphael Kempermann Meditationen ☆ Eckhart Tolle Jetzt! Die Kraft der Gegenwart-Hörbuch ☆ und last but not least die Nachdenkseiten. … Viel Erfolg und Liebe auf Deinem Weg, herzlichst Annika

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