
Im Überfluss verloren
Wir leben in einer Welt des Überflusses. Noch nie war die Auswahl an Möglichkeiten, Produkten, Informationen, Medien, Freizeitangeboten und Lebenswegen so überwältigend groß. Doch statt dadurch freier zu werden, fühlen sich viele von uns überfordert, gestresst oder unzufrieden.
Dieses Dilemma der Moderne hat einen Namen: das Auswahlparadox.
Was hinter dem Auswahlparadox steckt
Zahlreiche Studien haben das Paradoxon bestätigt und weiter erforscht.
Zu viele Optionen erhöhen die kognitive Belastung und überfordern den Teil unseres Gehirns, der für rationales Entscheiden zuständig ist. Mehr Auswahl fühlt sich zunächst nach mehr Freiheit an, führt aber häufig zu ihrem Gegenteil: Wir vergleichen, zweifeln und bereuen unsere Wahl. Manchmal fühlen wir uns so überfordert, dass wir am Ende lieber gar keine Entscheidung treffen, als eine falsche.
Eine Studie von Sheena S. Iyengar und Mark R. Lepper aus dem Jahr 2000 überraschte: An einem Marktstand mit 24 Marmeladensorten probierten 60 % der Menschen mindestens eine Sorte, doch nur 3 % kauften ein Glas. An einem anderen Stand mit nur 6 Sorten probierten 40 %, aber 30 % entschieden sich schließlich zum Kauf.
Eine zu große Auswahl kann uns also lähmen. Doch im Alltag führt diese Überforderung nicht unbedingt zu weniger Konsum – oft greifen wir später zu Dingen, die wir eigentlich nicht brauchen, einfach um das diffuse Unbehagen loszuwerden. Werbung, Rabatte und Algorithmen verstärken diesen Mechanismus, indem sie uns einreden, Glück ließe sich kaufen oder auswählen.
Wo uns das Paradoxon im Alltag begegnet
Das Auswahlparadox zeigt sich in vielen Bereichen unseres Alltags. Hier einige Beispiele – Du wirst sicher weitere in Deinem Leben entdecken:
- Im Supermarkt, wenn 13 Sorten Himbeermarmelade nebeneinanderstehen, aber keine uns wirklich überzeugt.
- Vor dem Kleiderschrank, der überquillt, während wir denken, wir hätten „nichts zum Anziehen“.
- Bei der Ernährung, wenn Trends, Diäten, Supplements und Superfoods mehr Verwirrung als Klarheit bringen.
- In der Freizeit, die mit all ihren Hobbys, Events und Kursen kaum noch freie Zeit lässt.
- Bei der Urlaubsplanung, wenn uns die Fülle an Reisezielen eher lähmt als inspiriert.
- Auf Dating-Plattformen, wo unzählige Profile mehr Unsicherheit als Nähe erzeugen.
- Auf Social Media, wo Feeds, Reels und Stories kein Ende nehmen und unsere Aufmerksamkeit zersplittern.
- Im Posteingang, wenn Newsletter, Werbung, Spam und Belangloses die wirklich wichtigen Mails überdecken.
- Beim Streaming mit seiner endlosen Auswahl an Filmen, Serien, Podcasts, Alben und Playlists.
- Beim Konsum, wenn die Suche nach dem „Besten“ uns vom Passenden abhält.
Im Wunsch, nichts zu verpassen, verlieren wir oft das, was wirklich zählt. Manchmal greifen wir dann lieber an falscher Stelle zu, als gar nicht.
Minimalismus als Ausweg
Minimalismus ist eine Antwort auf das Auswahlparadox. Freiwillig einfach zu leben bedeutet nicht Verzicht oder Rückzug, sondern das Wesentliche zu erkennen und Überflüssiges loszulassen. So verlieren die unzähligen Möglichkeiten ihre Macht über uns, und wir gewinnen Zeit, Klarheit und Entscheidungsfreiheit zurück.
Letztlich geht es um eine innere Haltung: Wir akzeptieren, dass das Angebot unendlich ist – und wissen zugleich, dass wir es nicht nutzen müssen. Der griechische Philosoph Sokrates erkannte das schon vor über 2400 Jahren: „Wie viele Dinge es doch gibt, die ich nicht brauche.“
Minimalismus hilft uns, das Zuviel des Möglichen in ein Genug des Guten zu verwandeln.
10 Wege, das Auswahlparadox zu mildern
Was können wir also tun, um das Paradoxon zu mildern? Hier kommen zehn Anregungen:
- Kenne Deine Werte, Prioritäten, Leidenschaften und Liebsten. Notiere sie am besten in Deinem Notizbuch – sie sind der Kompass, der viele Entscheidungen überflüssig macht.
- Frag Dich im Alltag öfter: Ist das jetzt wirklich wichtig? Eine einfache Frage, die Termine, Projekte, Anschaffungen und Gedanken filtert.
- Reduziere Deinen Besitz. Weniger Dinge bedeuten auch weniger Entscheidungen.
- Hinterfrage Deine Kauflust. Brauche ich das wirklich – oder will ich nur eine Leere füllen, die Langeweile, Einsamkeit oder Stress in mir hinterlassen haben? Im Zweifel warte ein paar Tage; oft verschwindet das Verlangen von selbst.
- Schaffe Standards und Routinen. Eine Capsule Wardrobe, feste Termine, Lieblingsmarken und eine Abendroutine sparen Zeit und Energie.
- Reduziere digitale Ablenkungen. Weniger Bildschirme, mehr echtes Leben.
- Vermeide Werbung. Aufkleber am Briefkasten, Newsletter abbestellen, Werbeblocker aktivieren. Weniger Reize bedeuten weniger Auswahlstress.
- Nutze das Pareto-Prinzip. Lass das Unwichtige weg und konzentriere Dich auf das, was den meisten Nutzen bringt. Perfektionismus nährt das Auswahlparadox und ist selten nötig.
- Vertraue Deiner Intuition. Triff kleinere Entscheidungen innerhalb einer Minute. Das reduziert Grübeln und ewiges Abwägen.
- Sei dankbar. Statt auf das zu schauen, was fehlt, erinnere Dich an das, was Du bereits bist, kannst und hast.
Mein Fazit: Genug vom Zuviel
Wir leben im Zuviel – und sehnen uns nach dem Genug. Für mich ist die minimalistische Lebensweise der beste Weg, dem Auswahlparadox zu begegnen. Je weniger ich will, desto mehr entdecke ich, was wirklich zählt.

Hi Christof,
So ein wahrer Artikel, danke dafür!
Ich bin ja manchmal echt froh, wenn ich mich im Restaurant nur durch einen kleinen Teil der Speisekarte lesen muss. Die kleinere Auswahl macht die Entscheidung deutlich leichter 😉
Liebe Grüße
Karin
Hallo Karin,
schön, mal wieder von Dir auf diesem Wege zu lesen.
Das mit der Speisekarte ist wirklich ein gutes Beispiel. Als Pflanzenfresser ist die Auswahl ja oft überschaubar – da hab ich im Nu gewählt und bestellt.
Liebe Grüße
Christof
Ich kannte das Auswahlparadox bisher nicht.
Dass zu viele Optionen ein Problem sein können, war mir schon irgendwie klar, aber eher unbewusst.
Nun habe ich einen ganz anders Blick darauf.
Danke dafür!
Ich freue mich, dass Du etwas für Dich mitnehmen konntest. Bewusstheit ist der Anfang von Veränderung.
Der Artikel hat mir wieder Klarheit gebracht und kommt zur richtigen Stelle. Danke für das erinnern. Du stehst ja für Minimalismus und ich bin so dankbar und froh, das du in meinem Leben immer wieder zur richtigen Stelle auftauchst. Alles Liebe weiterhin.
Wie erfreulich, dass ich in Deinem Lebensfluss auftauche, liebe Carmen. Es müssten schon zehn Jahre sein, dass sich unsere Schwimmbahnen immer mal wieder kreuzen, oder? 🌊😊
Hallo Christof,
danke für deinen wieder sehr guten Artikel. Das Auswahlparadoxon kannte ich bisher für den Supermarkt. Aber es passt wirklich auf soviele Lebensbereiche….
Liebe Grüße
Barbara
Danke, liebe Barbara! Ja, das Auswahlparadox beginnt vielleicht im Supermarkt – und hört bei Partnerwahl und Wanderrouten noch lange nicht auf. :-)
Lieber Christoph,
Danke für diesen wieder einmal sehr guten Artikel.
Eine kleine Anmerkung: ich fände es gut, die Teilungsbuttons zu überdenken. Ich finde es fehlt Signal und ob man X nicht besser boykottieren sollte, könnte man zumindest überlegen. Und es gibt ja auch noch Bluesky und Mastodon. Auch wenn deren Reichweite nicht so groß ist. Das bedeutet jetzt nicht, dass ich die Wichtigkeit, die Social Media für dich hat nicht sehe.
Herzliche Grüße
Karen
Ich freue mich über Dein Lob!
Du sprichst die neue Teilen-Leiste unter meinen Blogartikeln an. Ich habe dort die gängigsten Plattformen eingebunden – und auf Deine Anregung hin nun Bluesky und Mastodon ergänzt. Wenn man auf das „+“ klickt, tauchen weitere Plattformen auf. X kann ich in dem Plug-in leider nicht deaktivieren. Und Signal wird gar nicht unterstützt, dafür aber Threema. Ich freue mich über Rückmeldungen auch von anderen Leserinnen und Lesern. Wenn die Teilen-Leiste nicht genutzt oder gewünscht wird, fliegt sie wieder raus.
Einfach bewusste Grüße
ChristoF
Lieber Christof,
Danke für deine Ergänzung und Bereitschaft, dich auf Den Input deiner Leser:innen einzulassen. 🙏
Ich habe durch die „weiteren“ gescrollt und auch hier: weit weg von Minimalismus. 😉 Viele Dienste kannte ich überhaupt nicht.
Und unsere Kommunikation hat mich als gelegentliche Homepagegestalterin auf sie Idee gebracht, auch hier mehr darauf zu schauen, wo die Tools herkommen, die I h einbinde. Also noch ein Dankeschön für den entsprechenden Impuls. Einen schönen Tag dir
Danke, lieber Christof,
das ist mal wieder so auf den Punkt gebracht!
Ich freue mich immer sehr auf deine neuen Beiträge und ja, ich lese zwischendurch auch immer mal in den alten Seiten. Das geht fast so als eine Art Meditation durch! Ich habe hier schon sehr viel gelernt und es macht Spaß zu lesen, was man wo ändern und verbessern kann.
Liebe Sonntagsgrüße!
Beate
Ich danke Dir, liebe Beate! Wo in Deinem Alltag begegnet Dir noch das Paradoxon? Viel Freude weiterhin beim Meditieren in meinem Archiv ;-)
Es ist immer so bereichernd, diese Artikel zu lesen, besten Dank!
Michael
Dein wohlwollender Kommentar hat nun mein Leben bereichert!
Hallo Christof,
danke für diesen Artikel! Da hast Du echt den Nagel auf dem Kopf getroffen! Kurz, prägnant, einfach wahr (für mich).
Man kann es so leicht haben, wenn man sich nur dafür entscheidet selbst zu denken :)
Danke!
Viele Grüße, Paula Wächter
Tun, was man denkt. Und vorher was gedacht haben.
In Anlehnung an Harry Rowohlt, der einmal empfahl: „Sagen, was man denkt. Und vorher was gedacht haben.“
Viele Grüße
Christof
Lieber Christof,
Mit dem Thema rennst du bei mir offene Türen ein – wie oft hat mich das Auuswahlparadox schon zur Entscheidungsparalyse geführt. ;)
Für mich hilft oft nur, die Optionen von vornherein zu limitieren.
Übrigens gibt es auch Studien, die belegen, dass wir unzufriedener mit einer Anschaffung sind, wenn wir sie umtauschen können. Die Qual der Wahl gibt es also nicht nur sprichwörtlich…
Danke für den guten Artikel!
Beste Grüße, Lara
Liebe Lara,
vielleicht hilft mein Text ja, Deine nächste Entscheidungsparalyse zu verkürzen – oder sie wenigstens mit einem Lächeln zu ertragen.
Das Ergebnis der von Dir erwähnten Studien wirkt zunächst widersprüchlich, im Zusammenhang mit dem Auswahlparadox ergibt es aber plötzlich Sinn.
EBG
Christof
Eine ständige Auseinandersetzung mit meiner (trotzdem) besten Freundin, die den Spruch von Mae West „Des Guten zu viel, kann einfach wunderbar sein“ witzig findet, während ich da ganz humorlos reagiere. Sie findet den Inhalt meines Kühlschranks „übersichtlich“, was sie natürlich negativ findet, während mir Übersichtlichkeit in jeder Beziehung wichtig ist. Ich finde, dass es keinen besonderen Spass macht, aus dem Vollen zu schöpfen, sondern mit dem zu arbeiten, was da ist. Ich finde Reste inspirierend. Oder gerettete Lebensmittel zu verarbeiten. Überhaupt aus Alt neu zu machen.
Ihr beide ergänzt Euch bestens – sie fürs Mehr, Du fürs Weniger, gemeinsam für die goldene Mitte. 😄
Toller Artikel, Christof!
Als ich den Studienführer meiner Tochter sah, den sie vor dem Abi angeschleppt hat (im wahrsten Sinn des Wortes!!), konnte ich gut verstehen, dass sie sagte: „Mama, das überfordert mich alles so!“ Gott sei Dank ist sie ihrem eigenen Impuls treu geblieben und studiert das Fach, was sie auch vorher schon im Sinn hatte.
Ich genieße den Einkauf in unserem „Tante-Emma-Laden“ im Nachbardorf: höchstens zwei Produkte einer Sorte. Die billige Supermarkt Variante und das teurere Markenprodukt. Wundervoll!
Dein Artikel trägt dazu bei, dass ich das noch mehr würdige und genieße.
Herzlichst, Andrea
Danke, liebe Andrea!
Aus dem von Dir genannten Grund gehe ich gern in kleinere Bioläden – weniger Auswahl, dafür mehr Qualität und Persönlichkeit. Bei den gestiegenen Lebensmittelpreisen ist das zwar nicht immer drin, aber hin und wieder gönne ich es mir einfach bewusst.
Oh ja. Danke für den Artikel und so wahr. Die großen Ketten vermeide ich so gut es geht Allerdings Samstag musste ich in einen Drogeriemarkt. Kerzen und Zahnpasta. Selbst da war die Auswahl riesig. Zu riesig.
Finde ja gerade die hohen Preise ideal für weniger zu kaufen und zu sondieren von wegen muss nicht sein etc. Mir blieb der Mund zu als ich im Drogeriemarkt die aufgebahrten Weihnachtsschokimänner und co. einer bestimmten Marke die Preise sah. Da kam bei mir sofort der Modus kauf ich nicht. Kauf eh vieles nicht mehr. Und ganz bewusst vermeide ich bestimmte Produkte von bestimmten Konzernen.
Am liebsten in den kleinen Bioladen, auf den Wochenmarkt und von irgendwoher wenn nicht selber gemacht ein gutes Brot.
Habt ihr Euch schon mal das Nudelregal angeschaut also da sind gleich mal zwei Reihen nicht Regale Reihen nur Nudeln……
Also ob jemand die Nudel neu erfinden möchte…
Und mal ehrlich eine Scheibe gutes Brot Belag nach Wunsch und eine Tasse frisch gebrühten Pfefferminztee was will man mehr. Einfach und gut.
LG
Rosa
Gibt es Vollkornbrot? Dann bin ich dabei – und bringe einen selbstgemachten Aufstrich mit. 😉
EBG
Christof
jepp Vollkornbrot oder gutes Holzofenbrot mit Sauerteig
:-)